Die Forderung aus den Bauernkriegen, dass „eine Tagwerker*in ihres Lohnes würdig“ sein solle, verlangt eine Anpassung der Pacht, um die Arbeit nicht zu entwerten. In der heutigen Landwirtschaft sind Arbeitskräfte aus dem Ausland oft unverzichtbar, um die körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten auf den Feldern kostenschonend zu bewältigen. Doch die Verbindung von Migration und Arbeitskraft geht weit über die Landwirtschaft hinaus – ob durch Steuerabkommen, persönliche Kontakte oder politische Entscheidungen.
Eine Diskussion thematisiert die künstlerische Arbeit mit und über Migration zwischen Sichtbarmachung und Wertschöpfung. Im Kurzfilmprogramm laufen Arbeiten von Želimir Žilnik, Elke Sasse, Maithu Bùi, s.a.b.a. und Larry Achiampong, die sich mit der Migration von Arbeitskräften und den damit verbundenen sozialen, politischen und kulturellen Herausforderungen auseinandersetzen. Anita Heindlmaier (Soziologin, Universität Wien) und Alexandra Voivozeanu (Referentin für Arbeitsmigration, PECO-Institut e.V.) laden im Anschluss zum ‘Faktencheck’ zu Arbeit und Migration ein, in dem aktuelle Daten und politische Hintergründe beleuchtet werden.
Alle Gespräche finden auf Deutsch statt, die Filme werden auf Deutsch oder Englisch mit dt. Untertiteln gezeigt.
In Kooperation mit WUK Theater Quartier.
PROGRAMM
Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
16:30 Artist Talk Ilona Németh
WUK Theater Quartier
18:00 (ABGESAGT) Diskussion zu migrantischen Perspektiven in Kunstinstitutionen
20:00 Kurzfilmprogramm:
s.a.b.a. (Silvia Amancei & Bogdan Armanu): How to migrate into a future (20 min)
Maithu Bùi: Mathuật – MMRBX, 2022 (22 min)
Larry Achiampong: The Expulsion (15 min)
Želimir Žilnik: Inventur – Metzstrasse 11, 1975 (10 min)
Elke Sasse: The Pickers (20 min)
Anschließend Gespräch mit Anita Heindlmaier und Alexandra Voivozeanu
Filminfos:
(How to) Migrate towards a Future? versucht das komplexe Thema der Wirtschaftsmigration als Video-Essay anhand der speziellen Situation von Rumänien zu dekonstruieren. Einst galt wirtschaftliche Migration als naheliegende Lösung für sozialen Wohlstand – und sie ist bis heute eine entscheidende Strategie für viele Rumän:innen. Gleichzeitig werden die Vorteile kapitalistischen Konsums von Massenmedien als selbstverständlicher, universeller Lebensstil vereinnahmt und reproduziert. Rumänien exportiert dafür billige Arbeitskräfte nach Westeuropa und importiert billige Arbeitskräfte aus seinen östlichen Nachbarländern und Asien – dabei werden die fehlende Gesetzgebung und der mangelnde Schutz für Letztere ausgenutzt.
Mathuật – MMRBX schafft aus generationsübergreifenden Erinnerungen eine virtuelle Diaspora. Metaphorisch verknüpft das Werk ein vietnamesisches Ritual der Totenfürsorge als Allegorie mit einer virtuellen Erinnerungsbox, die das Gedächtnis in Bewegtbildern speichert. Die Installation funktioniert wie ein vietnamesisches Wasserpuppentheater und nutzt dessen jahrhundertealte Methoden des Erzählens und der Wissensvermittlung, um historische Narrative zu bewahren. Vietnamesisch Mathuật („Magie“) = ma („Geist“) + thuật („Handwerk“) – die Kunst, mit Geistern zu kommunizieren. MMRBX ist eine Abkürzung für den Arbeitstitel: die „memory box“, die die Diaspora von Erinnerungen simuliert. Durch Chöre und andere erzählerische Elemente ruft das Werk ein Gefühl der Kontinuität zwischen Generationen hervor, in der Geschichten durch geisterhafte Begegnungen beginnen und enden.
The Expulsion ist ein zutiefst persönliches Werk aus der Vorstellungskraft von Larry Achiampong. Der Kurzfilm beleuchtet die reiche Innenwelt eines namenlosen Migranten und verbindet sie mit Verweisen auf Themen wie Rasse, Klasse und Geschlecht. Der Künstler beschwört darin die Energie und Erinnerungen des noch nicht gentrifizierten East London der 1990er Jahre. Der Film verwebt Erinnerungen und Tagträume mit den monotonen Rhythmen körperlicher Arbeit und dem Gewicht frustrierender Konsumsehnsucht im West End der Stadt. In 4K-Auflösung gedreht, verbinden das lyrische Drehbuch, der Bildstrom und die hypnotische Originalmusik eine stets präsente Vergangenheit mit aktuellen Fragen gesellschaftlicher Ungerechtigkeit, Klassenschranken und ausgelöschten Geschichten.
Inventur – Metzstraße 11 porträtiert die Bewohner:innen eines alten Mietshauses im Zentrum Münchens – die meisten von ihnen Ausländer:innen, die als „Gastarbeiter“ in Deutschland leben. Sie stellen sich vor und sprechen kurz, in ihren eigenen Sprachen, über ihre größten Sorgen, neuen Hoffnungen und Pläne für die Zukunft.
The Pickers ist eine Reise zu den europäischen Feldern, auf denen unser Obst und Gemüse angebaut wird. Im Süden Italiens pflückt Seydou aus Mali Orangen. Er hat keinen Vertrag und wird nach Kisten bezahlt. Er lebt äußerst prekär.
Heidelbeeren in Portugal, Oliven in Griechenland, Erdbeeren in Spanien – derzeit arbeiten eine Million Migrant*innen auf europäischen Feldern. Sie sind die mobilen Arbeitskräfte, die unsere Körbe in den Supermärkten füllen; meist ohne Verträge oder Mindestlohn, einige leben illegal im Land, andere haben hohe Schulden bei Vermittlungsagenturen. Was wir sehen, verleiht dem, was wir täglich essen, einen bitteren Beigeschmack: Unser tägliches Obst und Gemüse ist in einem System der Ausbeutung verwurzelt. Gibt es keinen Ausweg aus diesem System?
Doch: Pape aus dem Senegal produziert faire Orangen in Süditalien. „Wir wollen nicht, dass das als revolutionär betrachtet wird; wir wollen, dass dies der neue Normalzustand wird!“